Rechtliche (Un)möglichkeiten
Hier versuchen wir, euch so gut wie möglich einen Überblick über die rechtliche Lage zu verschaffen.
Jetzt stellt sich natürlich noch die Frage: Wie ist der genaue Stand bei uns, wie sieht das weitere Vorgehen aus und was sind mögliche Konsequenzen für alle Beteiligten?
Anfang November 2020 begann unsere Geschichte durch einen Hinweis Dritter. Schnell wurde klar, dass nicht nur eine Person betroffen ist und sich viele von uns kennen. Wir schlossen ein Netzwerk, sammelten Beweise und hatten eine Vermutung über die Identität des Täters. Im November erstatteten wir Anzeigen, machten Aussagen bei der Polizei. Anfang Dezember fand endlich die Hausdurchsuchung bei dem vermuteten Täter statt. Seitdem warten wir...
Doch wie ist das Geschehene einzuordnen und was folgt jetzt?
Wir sind betroffen von einem sogenannten non-consensual-p0rn (übersetzt: „P0rnographie ohne Einverständnis“) aus der Exposer-Szene. Bei dieser Szene handelt es sich fast ausschließlich um Männer, welche willkürlich Selfies, Bikini-, Sex- oder Nacktfotos und sogar persönliche Daten, ohne jeglichen Rechtsanspruch, von mehrheitlich Frauen auf Seiten wie xHamster oder YouP0rn stellen¹. Einige Täter benutzen das „exposen“ als Racheakt (revenge-p0rn genannt), andere kennen die Frauen gar nicht und handeln nur zum Vergnügen. Zudem gibt es Täter, welche mittels Fotomontage Fake-Bilder erstellen, indem sie beispielsweise Gesichter von Betroffenen auf die Körper von P0rnodarstellenden schneiden.
Es wurde mittlerweile auch ein sogenanntes „exposure manifest“ entdeckt, welches getreu dem Motto download-repost-share-enjoy als Leitfaden für die Szene gilt². Wurde ein Bild veröffentlicht, so hört es damit nicht auf, denn in den Kommentaren wird sich mit perversen Fantasien regelrecht in Rage geredet.
Neben dem ganz individuellen Schaden durch die öffentliche Entblößung der Betroffenen handelt es sich hierbei um eine Straftat nach §201a (Absatz 2) des StGb: „Ebenso wird bestraft, wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht. Dies gilt unter den gleichen Voraussetzungen auch für eine Bildaufnahme von einer verstorbenen Person.” Geführt als Privatklagedelikt entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob sie im Verfahren ermittelt. Sie schreitet jedoch nur ein, wenn es sich bei dem Fall um öffentliches Interesse handelt. Ansonsten müssen Geschädigte ohne Staatsanwaltschaft klagen. Im Falle eines Urteils drohen den Angeklagten bis zu zwei Jahren Haft oder eine Geldstrafe. Wir sind uns nicht sicher, ob der Paragraf für unseren Fall überhaupt greift, weil wir nicht genau wissen, ob er vor oder nach den Taten eingeführt wurde.
Die Folgen für die Betroffenen reichen von einfachem Schamgefühl über Schlafstörungen und Depressionen bis zu Suizidversuchen. Doch anstatt sich ihren ganz individuellen Problemen widmen zu können, müssen sie bei der Polizei Aussagen tätigen, welche zum Teil nicht ernst genommen oder unangebracht kommentiert werden. Nicht selten ist den Behörden auch unklar, um welchen Straftatbestand es sich hierbei handelt. Es ist ein neues Problem und ein neues Feld, in welchem selbst die Polizei und andere Behörden leider über sehr wenig Wissen und Erfahrung verfügen. Non-consensual-p0rn ist auch kein ausschließlich deutsches Phänomen. So beschäftigt sich das dänische Justizministerium schon seit Jahren mit dieser Problematik. Auch in Italien gab es 2016 einen Suizid einer Frau, welche durch einen revenge-p0rn entblößt wurde und niemand ihre Fotos löschte. Daraufhin ist nun ein Gesetz auf dem Weg, welches das Verüben einer solchen Tat mit einer Geldstrafe bis zu 15.000€ bestrafen könnte.
Die Plattformen, auf denen die Fotos veröffentlicht werden, äußern sich auch auf Nachfrage kaum zu dieser Problematik. Eine systematische Kontrolle zum Aufdecken illegal hochgeladener Fotos gibt es nicht. Bilder werden höchstens stichprobenartig von Freiwilligen kontrolliert, welche keinerlei Qualifikationen vorweisen müssen, um diese Aufgabe zu erfüllen. Sie müssen sogar selbst aktiv Material auf den Plattformen hochladen, um Moderationsrechte zu erhalten³. Bisherige Recherchen zeigten, dass ihre Arbeiten nur Geringfügigkeiten, wie das Löschen oder Umbenennen von Kategorien bewirken. Im Dezember 2020 kam es jedoch zu einer „drastischen” Änderung bei xHamster, denn von nun an können keine anonymen Nutzer mehr Fotos oder Videos hochladen⁴. Vor dem Upload muss über das Hinterlegen von Zahlungsdaten eine Verifizierung erfolgen. Dies sind jedoch nur kleine Erfolge, welche verzeichnet werden können. Letztendlich bleibt vielen Betroffenen nur noch die Möglichkeit, sich selbst zu organisieren und beispielsweise Petitionen zu starten. Insgesamt scheinen die Behörden mit dieser Problematik überfordert und noch keine wirkliche Kompetenz entwickelt zu haben. Die Plattformen nehmen das Problem nicht ernst und Betroffene sind auf sich allein gestellt.
Was bedeutet das konkret für unseren Fall?
Wir sind uns nicht ganz sicher und werden es wohl erst erfahren, wenn es zu gerichtlichen Verhandlungen kommen sollte. Aktuell vermuten wir, dass es höchstens auf eine Verurteilung aufgrund von Beleidigung hinauslaufen wird, denn die Kommentare und Beschreibungen unter unseren Fotos nahmen eindeutig Ausmaße extremer Qualität an. Wir möchten sie deswegen hier nicht noch einmal reproduzieren und nennen deshalb keine Beispiele. Ob der oben erwähnte §201a (Absatz 2) des StGb für uns greift, wissen wir nicht. Wie der aktuelle Stand der polizeilichen Ermittlungen ist, wissen wir auch nicht. Für uns ist es seit einem Jahr spannend und das wird es sicherlich auch noch eine Weile bleiben.